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Verregnet, aber solide Anđelka Križanović
Als ich neunjährig an diesem verregneten Stuttgarter Busbahnhof ausstieg, hatte ich bereits alle Angstreserven angezapft und aufgebraucht. Bis dahin war ich recht verschwenderisch mit der Angst umgegangen, ob sie nun begründet, staatlich angeordnet oder völliger Mumpitz war.
In Friedenszeiten leisteten wir uns den Luxus, uns vor völlig unsinnigen Dingen zu fürchten. Ich hatte Angst vor wild gewordenen Muttersäuen, meine Mutter hatte Angst vor Pudeln und ein Cousin hatte Angst, dass man ihm den Blinddarm vielleicht noch ein zweites Mal heraus nimmt. Dann hatten wir Angst vor Wölfen, Füchsen und ominösen Todeswespen, die einem nach dem dritten Einstich den sicheren Tod brachten.
Und dann gab es da noch die von oberster Stelle verordnete Angst. So erzählte uns unser gütiger Landesvater, dass wir uns vor der ganzen Welt, vor allem vor den Italienern, Österreichern und Bul-garen, nicht aber vor den Russen fürchten sollten. Nur die Kanonen unserer siegreichen Volksarmee stünden zwischen uns und den hungrigen, zähnefletschenden Horden, die praktisch jederzeit in unser Land einfallen könnten. Gerade Deutsche galten in unseren Schulbüchern als notorische Unruhestifter. Zudem hatten sie bleiche Gesichter, blutunterlaufene Augen und sie schauten immer so böse.
Ich aber fürchtete mich am meisten vor der Polizei, die mich oder meine Eltern oder meine Schwester eines Tages holen könnte. Später hatte ich Angst vor Uniformen und Sondernachrichten im Fernsehen, die vielleicht berichten könnten, dass man unsere Stadt eingenommen hat. Dann hatte ich Angst vor dem Sirenengeheul, das einen nachts aus dem Bett jagte und durch die kalte, nasse Nacht in den Bunker rennen ließ.
Als ich also neunjährig an diesem verregneten Stuttgarter Busbahn-hof ausstieg, war da keine Angst mehr übrig, die ich hätte haben können. Ich war ein neunjähriger Gallier, dem nur noch der Himmel auf den Kopf fallen konnte. Und der Himmel über Deutschland war zwar verregnet, aber solide. Die Angst eines ganzen Menschenalters in neun Jahren aufgebraucht, konnte ich nur noch staunen.
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